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Titel
Impfe und Herrsche. Veterinärmedizinisches Wissen und Herrschaft im kolonialen Namibia 1887–1929


Autor(en)
Wedekind, Klemens
Reihe
Transnationale Geschichte 13
Erschienen
Göttingen 2021: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
406 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrike Kirchberger, Universität Kassel

Diese an der Universität Trier entstandene Doktorarbeit behandelt den Kampf gegen Tierseuchen in Deutsch-Südwestafrika. Sie wurde abgeschlossen, bevor die gegenwärtige Corona-Pandemie ausbrach. Parallelen zum derzeitigen Verhältnis zwischen Politik und transnationaler Wissenschaft bei der Entwicklung und Verteilung von Impfstoffen gegen den Corona-Virus fallen bei der Lektüre zwar immer wieder auf, sind aber vom Verfasser nicht beabsichtigt. Klemens Wedekind konzentriert sich auf die Impfpolitik in Deutsch-Südwestafrika im Zusammenhang mit dem Aufbau eines tierärztlichen Verwaltungsdienstes, wobei sein besonderes Interesse den transimperialen Verflechtungen der Veterinärwissenschaften zwischen Deutsch-Südwestafrika und den südafrikanischen Kolonien gilt.

Als die Kolonialregierung in Deutsch-Südwestafrika mit dem Aufbau einer Landwirtschaft im europäischen Stil begann, nahm mit der Hinwendung zur Nutztierhaltung der Bedarf an Tierärzten zu. Sie sollten gegen häufig ausbrechende Seuchen, wie etwa die Pferdesterbe oder die Rinderpest, Immunisierungsverfahren und Impfstoffe entwickeln. Wedekind führt aus, dass der Aufbau des veterinärmedizinischen Dienstes in Deutsch-Südwestafrika zunächst von den Zentrum-Peripherie-Hierarchien des europäischen Imperialismus geprägt war. Die Experten kamen aus den deutschen und europäischen Wissenschaftsmetropolen und brachten ihr dort erworbenes Wissen mit nach Deutsch-Südwestafrika. Dann aber entwickelten sich Eigendynamiken vor Ort. Wissens- und Personentransfers mit den benachbarten Kolonien, vor allem mit der Cape Colony und Transvaal, nahmen zu. Impfstoffe wurden nicht mehr ausschließlich aus Deutschland bestellt, sondern auch aus Kapstadt und Pretoria angefordert. Dieser transkoloniale Austausch zwischen Deutsch-Südwestafrika und den südafrikanischen Kolonien gewann über die Jahre an Bedeutung.

Wedekind weist überzeugend nach, wie sich in den transimperialen Wissensräumen in Südafrika eigene Interessen entwickelten und eine Forschungslandschaft entstand, die sich zunehmend von den imperialen Zentren in Europa löste. Gelegentlich vermerkt er in diesem Zusammenhang, dass neben den innerafrikanischen Verflechtungen auch transozeanische Verbindungen von Deutsch-Südwestafrika nach Südamerika und Australien bestanden. Gerade über die Kontakte nach Australien hätte man gerne mehr erfahren, denn neue Forschungen zu den ökologischen Netzwerken über den Indischen Ozean zeigen die engen Beziehungen und die Vielfalt der Nutztiertransfers zwischen Australien und Südafrika.

Des Weiteren zeichnet Wedekind nach, wie sich die tiermedizinischen Wissensbestände, die unter deutscher Herrschaft in Namibia angelegt wurden, institutionalisierten. Es wurden Institute und Labore eingerichtet, die der Grundlagenforschung und der Produktion von Impfstoff dienten, und es entstand ein kolonialer Veterinärdienst, der mit anderen Zweigen der Kolonialverwaltung eng verzahnt war. Der Aufbau tiermedizinischer Infrastrukturen war Teil einer Gesamtstrategie zur Herrschaftssicherung. Die Tiermedizin leistete einen wichtigen Beitrag zur Etablierung eines „cattle colonialism“, dessen Erzeugnisse auf den entstehenden Weltmärkten abgesetzt werden sollten. Die Impfkampagnen trugen überdies dazu bei, die Rassentrennung in der entstehenden Siedlergesellschaft zu vertiefen.

Wedekind betont, dass auch die Institutionalisierung der Tiermedizin in Deutsch-Südwestafrika in einem transimperialen Zusammenhang betrachtet werden muss. Die bereits bestehenden Veterinärdienste in Transvaal und der Cape Colony dienten der Kolonialpolitik in Deutsch-Südwestafrika als Vorbild beim Aufbau der eigenen veterinärmedizinischen Verwaltung. Ferner hielt das Kolonien-übergreifende veterinärmedizinische Expertennetzwerk seit 1897 regelmäßig interkoloniale Konferenzen ab, sodass auch im Bezug auf die transkoloniale Wissenszirkulation Prozesse der Institutionalisierung festzustellen sind. Hinsichtlich der chronologischen Entwicklung des Veterinärmedizinischen Dienstes arbeitet Wedekind Kontinuitäten heraus, die sich über den Ersten Weltkrieg hinauszogen, wodurch auch auf der Zeitachse transnationale Dimensionen sichtbar werden. Er zeigt, wie die südafrikanische Mandatsregierung die Veterinärpolitik der deutschen Kolonialregierung in vielen Bereichen fortführte und deutsche Regierungsärzte in ihren Ämtern beließ, bis die letzten Ende der 1920er-Jahre aus dem Verwaltungsdienst ausschieden.

Die Untersuchung wurde im Wesentlichen aus den deutschen Kolonialakten in den National Archives in Namibia und im Bundesarchiv in Berlin erarbeitet. Zweifelsohne hat Wedekind damit einen wichtigen Quellenbestand erschlossen, den er sorgfältig analysiert. Die Aufarbeitung des Forschungsstandes erfolgt hingegen recht oberflächlich. Zu den transimperialen Wissenschaftsnetzwerken und -transfers im 19. und 20. Jahrhundert gibt es einen stetig anwachsenden Bestand an Sekundärliteratur, zu dem Historiker/innen in aller Welt regelmäßig beitragen. Wedekind scheint einen beträchtlichen Teil dieser Literatur nicht zu kennen. Er glaubt tatsächlich, dass „in der gesamten englischsprachigen Literatur […] der Blick nur selten über die kolonialen Grenzen hinaus geweitet“ wird (S. 26). Der deutschsprachigen Forschung attestiert er ein „Verharren innerhalb national-kolonialer Entitäten“ (S. 26) und ignoriert damit zahlreiche einschlägige Untersuchungen.1

Wedekinds eingeschränkte Kenntnis der Forschungsliteratur führt immer wieder zu peinlichen Selbstüberschätzungen. So ermuntert er seine Kollegen dazu, die eigene Studie als Vorbild zu nehmen und „anhand anderer Kolonialwissenschaften“ ähnliche Transfer- und Kooperationsprozesse nachzuweisen (S. 380). Nun existieren gerade für den kolonialen Forstdienst, um nur eine der von ihm angesprochenen Wissenschaftsdisziplinen herauszugreifen, eine ganze Reihe von Büchern und Aufsätzen, die genau dieser transnationalen und interkolonialen Dimension viel Beachtung schenken.2 Von einem „grundsätzlichen Mangel an kolonialhistorischen Arbeiten, die eine transimperiale Perspektive einnehmen“ (S. 380) kann wirklich keine Rede sein.

Auch in methodischer Hinsicht fällt Klemens Wedekind hinter den Forschungsstand zurück. Er bezieht sich in der Einleitung auf Foucault und das Konzept der Verflechtungsgeschichte, nimmt aber neue Ansätze zur Netzwerkanalyse, die in der globalen Umweltgeschichte schon seit längerer Zeit eingesetzt werden, um nichtmenschliche Akteure in ökologische Transfers zu integrieren, nur am Rande zur Kenntnis. Es gelingt ihm auch nicht, sich an die afrikanischen Gesellschaften anzunähern, die von der deutschen Impfpolitik betroffen waren. Sie werden allzu oft als „Indigene“ zusammengefasst. Auf afrikanische Traditionen der Rinderzucht wird kaum eingegangen. Über die Bedeutung der Rinderpest für den Ausbruch des Herero-Krieges erfährt man wenig Neues. Auch im Hinblick auf die chronologische Entwicklung der transimperialen Verflechtungen leistet Wedekind keineswegs Pionierarbeit. Dass der globale britisch-deutsche Wissenstransfer von Kontinuitäten geprägt war, die über den Ersten Weltkrieg hinausreichten, ist an anderer Stelle bereits thematisiert worden. Fragen nach verschiedenen Formen der Zeitlichkeit, die in den Transfers zusammenflossen, nach der Rolle der biologischen Rhythmen der beteiligten Tiere und anderen temporalen Dimensionen, die die Forschung derzeit beschäftigen, wird nicht nachgegangen.3

Wenn die Arbeit enger an den Forschungsstand angeschlossen worden wäre, dann hätte mit dem interessanten neuen Quellenmaterial sicherlich ein substantieller Beitrag zu den gegenwärtigen Diskussionen um globalen Wissenstransfer im imperialen Zeitalter gelingen können. So werden lediglich bereits vorhandene Forschungsergebnisse bestätigt, ohne sie weiterzuentwickeln oder durch eigene Thesen zu hinterfragen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie ist die Lektüre dieses Buches über koloniale Impfpolitik dennoch aufschlussreich.

Anmerkungen:
1 In Wedekinds Arbeit fehlt beispielsweise Deborah J. Neill, Networks in Tropical Medicine. Internationalism, Colonialism, and the Rise of a Medical Speciality, 1890–1930, Stanford 2012; über interkoloniale Konferenzen in Afrika schreibt schon John MacKenzie, The Empire of Nature, Manchester 1988; an neueren Arbeiten zu transimperialen Wissensnetzen übersieht Wedekind, um nur eine kleine Auswahl zu geben, Bernhard Schär, Tropenliebe. Schweizer Naturforscher und niederländischer Imperialismus in Südostasien um 1900, Frankfurt am Main 2015; Moritz von Brescius, German Science in the Age of Empire. Enterprise, Opportunity and the Schlagintweit Brothers, Cambridge 2019; Pascal Schillings, Der letzte weiße Flecken. Europäische Antarktisreisen um 1900, Göttingen 2016.
2 So zum Beispiel James Beattie, Empire and Environmental Anxiety. Health, Science, Art and Conservation in South Asia and Australasia, 1800–1920, Basingstoke 2011; Ulrike Kirchberger, Wie entsteht eine imperiale Infrastruktur? Zum Aufbau der Naturschutzbürokratie in Deutsch-Ostafrika, in: Historische Zeitschrift 291/1 (2010), S. 41–69.
3 Ulrike Kirchberger, Introduction, in: Heather Ellis / Ulrike Kirchberger (Hrsg.), Anglo-German Scholarly Networks in the Long Nineteenth Century, Leiden 2014, S. 1–19, hier S. 14–19; Ulrike Kirchberger, Temporalising Nature. Chronologies of Colonial Species Transfer and Ecological Change across the Indian Ocean in the Age of Empire, in: International Review of Environmental History 6/1 (2020), S. 101–125.

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